Infomailing vom 18.01.2024
Schwerpunkte der EP-Plenartagung vom 15. – 18. Jänner 2024
Im Rahmen der Plenartagung des Europäischen Parlaments vom 15. – 18. Jänner stehen u. a. folgende Themen auf der Tagesordnung:
Debatte zu den EU-Gipfeln im Dezember und Februar und zur Lage in Ungarn
Die EU-Gipfel im Dezember 2023 und im Februar 2024 sowie die Lage in Ungarn stehen im Zentrum einer Plenardebatte am Mittwoch mit den Präsidenten Michel und von der Leyen.
Premierminister Belgiens stellt Prioritäten des belgischen EU-Ratsvorsitzes vor
Am Dienstag ab 09:00 Uhr diskutieren die Abgeordneten mit Premierminister Alexander De Croo das Programm der belgischen EU-Ratspräsidentschaft, die am 1. Jänner begonnen hat.
Debatte zur humanitären Lage in Gaza
Am Dienstagnachmittag debattieren die Abgeordneten über die humanitäre Lage in Gaza, die Notwendigkeit eines Waffenstillstands und die Risiken einer Eskalation im Nahen Osten.
EU-Militärhilfe für die Ukraine
Die Abgeordneten fordern die EU am Dienstag dazu auf, ihren Verpflichtungen nachzukommen und die militärische Unterstützung für die Ukraine zu intensivieren.
Verbot von Grünfärberei und irreführender Produktinformation: Finale Abstimmung
Am Mittwoch steht das endgültige Votum über eine Richtlinie an, die darauf abzielt, die Produktkennzeichnung zu verbessern und die Verwendung irreführender Umweltangaben zu unterbinden.
Wirtschaftliche Steuerung: Für Glaubwürdigkeit und Investitionsförderung
Die neuen EU-Regeln für die wirtschaftspolitische Steuerung sollen Investitionen und nationaler Eigenverantwortung Vorrang einräumen und die Glaubwürdigkeit des Systems verbessern.
Bekämpfung des Neo-Faschismus in Europa
Die Abgeordneten werden am Dienstag mit Vertreter:innen der belgischen Ratspräsidentschaft und der Kommission erörtern, wie das Wiederaufleben des Neofaschismus in Europa verhindert werden kann.
Hetze und Hasskriminalität in Liste der EU-Straftatbestände aufnehmen
Im Rahmen einer Debatte und einer Abstimmung Mittwoch und Donnerstag will das Parlament den Rat auffordern, entschiedene Maßnahmen gegen Hetze und Hasskriminalität in der EU zu ergreifen.
Gedenken an Jacques Delors
Das Parlament eröffnet seine Plenarsitzung mit einer Gedenkveranstaltung für den am 27. Dezember 2023 verstorbenen ehemaligen Präsidenten der Europäischen Kommission, Jacques Delors.
Digitale Musikplattformen: Warnung vor unfairer Situation für Urheber:innen in Europa
In einer Resolution wollen die Abgeordneten fordern, dass die EU Ungerechtigkeiten im weitgehend unregulierten digitalen Musiksektor anspricht, um Künstler:innen zu unterstützen.
Weniger Emissionen von fluorierten Gasen und ozonabbauenden Stoffen
Das Parlament will seine finale Zustimmung für neue Maßnahmen zur Minimierung der Emissionen starker Treibhausgase geben, die im Einklang mit den Klimazielen der EU und weltweit stehen.
EU-Werte in Griechenland: Aktuelle Entwicklungen
Am Mittwoch befasst sich das Parlament in einer Debatte mit Vertreter:innen von Rat und Kommission mit dem Stand der Rechtsstaatlichkeit und der Medienfreiheit in Griechenland.
Weitere Themen:
- Lage der Rechtsstaatlichkeit in der Slowakei, Debatte und Abstimmung Mittwoch
- Lage der Grundrechte in der Europäischen Union – Jahresbericht für die Jahre 2022 und 2023, Barley, Debatte Mittwoch, Abstimmung Donnerstag
- Aktivitäten des Europäischen Bürgerbeauftragten – Jahresbericht 2022 in Anwesenheit von Emily O'Reilly, Europäische Bürgerbeauftragte, JAHR, Debatte Dienstag, Abstimmung Mittwoch
- Überarbeitung des Mandats der Europäischen Arbeitsbehörde, Erklärungen des Rates und der Kommission
- Hochwertige Arbeitsplätze in einer wettbewerbsfähigen, zukunftsorientierten sozialen Marktwirtschaft, aktuelle Debatte, Mittwoch
- Umsetzung des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA), Javier Moreno Sánchez, Aussprache Dienstag, Abstimmung Mittwoch
- Geschlechtsspezifische Aspekte der steigenden Lebenshaltungskosten und die Auswirkungen der Energiekrise, Alice Kuhnke, Aussprache Mittwoch, Abstimmung Donnerstag
- Bekämpfung des dringenden Fachkräftemangels und Suche nach den richtigen Talenten zur Förderung der Schaffung von Arbeitsplätzen (Europäisches Jahr der Kompetenzen), Erklärung der Kommission, Mittwoch
Für mehr Information.
Live-Stream zur Sitzung.
Quellen:
Europäisches Parlament;
584. Plenartagung des EWSA
Diese Woche findet am 17. und 18. Jänner die 584. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) in Brüssel statt. Im Mittelpunkt der Plenartagung stehen folgende Punkte, die aktueller kaum sein könnten. Zum einen stellte die belgische Ratspräsidentschaft ihre Prioritäten für das erste Halbjahr 2024 vor. Mit weniger als fünf Monaten bis zur Europawahl hat die neue Ratspräsidentschaft noch einige wichtige Dossiers abzuschließen. Zum anderen wird zusammen mit der belgischen Energieministerin die von Thomas Kattnig, Mitglied der Bundespräsidiums der younion _ Die Daseinsgewerkschaft und des EWSA, ausgearbeitete Stellungnahme zur „grenzübergreifenden Energieinfrastrukturplanung“ (TEN/823) diskutiert und abgestimmt. Die Details zu beiden Themen findest du hier:
Die Prioritäten des belgischen Vorsitzes im Rat der Europäischen Union
Am Mittwoch, 17. Jänner, stellte die belgische Regierung – vertreten von Vizepremierminister Pierre-Yves Dermagne – die Ziele und Prioritäten für ihren halbjährigen Vorsitz im Rat der Europäischen Union vor. Zwei Mal im Jahr wechselt dieser turnusmäßig zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Dabei erarbeitet jeder Vorsitz ein eigenes Arbeitsprogramm, das es umzusetzen versucht. Unter dem Motto „Schützen, Stärken, Vorausschauen“ hat der neue Vorsitz sechs Ziele für die kommenden sechs Monate vorgelegt. Verteidigung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Einigkeit (1), Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit (2), Verfolgung eines grünen und gerechten Übergangs (3), Verstärkung unserer sozialen und gesundheitlichen Agenda (4), Schutz von Menschen und Grenzen (5) und Förderung eines globalen Europas (6) heißen die Schwerpunkte des belgischen Vorsitzes. „Aus meiner Sicht können die unter Punkt drei und vier formulierten Ziele nur gemeinsam erreicht werden. Ein grünes, nachhaltiges Europa kann nur gelingen, wenn es auch für alle Europäer:innen funktioniert. Daher muss die belgische Regierung während ihrer Ratspräsidentschaft endlich die Nöte und Forderungen Arbeitnehmer:innen in der grünen Transformation stärker berücksichtigen. Die notwendigen Maßnahmen dafür liegen auch dank dem EWSA seit Jahren auf dem Tisch“, kommentiert Kattnig.
EWSA-Stellungnahme zur „grenzübergreifenden Energieinfrastrukturplanung“ (TEN/823)
In den vergangenen Monaten durfte Kattnig auf Bitte der belgischen Ratspräsidentschaft die Stellungnahme TEN/823 zur „grenzübergreifenden Energieinfrastrukturplanung“ verfassen. Hinter diesem recht sperrigen Begriff steckt eine der zentralen Zukunftsaufgaben der Union: die Gestaltung des gemeinsamen Energienetzes. Denn die europäischen Netze sind in einem Zustand, der den gegenwärtigen Herausforderungen nicht mehr gerecht wird.
Dies liegt zum einen an den überlasteten Netzen, von denen 40 Prozent über 40 Jahre alt sind. Zum anderen liegt dies aber auch am gesteigerten Energieverbrauch in der EU, der in den nächsten sechs Jahren um rund 60 Prozent wachsen wird. Diese Herausforderungen haben zur Folge, dass wir sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene unsere Energienetze ausbauen, dezentralisieren, digitalisieren und besser vernetzen müssen.
Damit das gelingt, müssen wir uns europaweit besser abstimmen und vor allem auch deutlich mehr investieren. Das ist nicht nur gut und notwendig für das Klima, sondern schafft vor allem auch gute, zukunftsfähige Arbeitsplätze. Der Ausbau der Netze sichert also nicht nur unsere zukünftige Energieversorgung, sondern kommt auch den Arbeitnehmer:innen selbst zugute.
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass die Energieinfrastruktur als Dienstleistung von allgemeinem Interesse für die Wirtschaft und die Bevölkerung eingestuft und auch so behandelt wird. In der Praxis muss das bedeuten, den Mitgliedstaaten und vor allem auch den Städten und Gemeinden den Spielraum zu geben, um notwendige Investitionen tätigen zu können. Erreichen können wir dies durch die Einführung einer „goldenen Investitionsregel“, die Investitionen in die Zukunft unserer Beschäftigten fördert, statt sie zu behindern, wie es der Vorschlag des Rates dieser Tage einmal mehr vorsieht. Wir brauchen daher eine starke öffentliche Hand statt einer Rückkehr zur sinnlosen Sparpolitik. Wenn uns das gelingt, können wir endlich ein sicheres und zukunftsfittes Energiesystem schaffen. Das ist nicht nur gut für die Wirtschaft der Union, sondern vor allem auch für ihre Beschäftigten.
Weiterführende Informationen:
Tagesordnung der 584. Plenartagung des EWSA
Stellungnahme „grenzübergreifende Energieinfrastrukturplanung“ (TEN/823)
Quellen:
Europäische Kommission, Europäischer Gewerkschaftsverband für den Öffentlichen Dienst (EGÖD), Europäischer Rat / Rat der Europäischen Union, Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA);
Planlos in die Zukunft
Dass die österreichische Bundesregierung in Sachen Klimaschutz deutlich ambitionierter sein könnte, zeigt sich nicht nur daran, dass Österreich im jährlich erstellten Klimaschutzindex auf Platz 32 hinter Kolumbien liegt. Zurzeit gibt es auch kein wirksames Klimaschutzgesetz, das derzeit geltende Gesetz wurde letztmalig im Jahr 2017 angepasst und die enthaltenen Treibhausgas-Reduktionsziele endeten 2020. Offensichtlich können sich die Regierungsparteien weiterhin auf keine gemeinsame Position einigen.
Nun zeigen sich an weiterer Stelle verhärtete Fronten. Alle Mitgliedstaaten der EU müssen auf Basis einer EU-Verordnung sogenannte Nationale Energie- und Klimapläne (NEKP) erstellen. Diese Pläne sind alle zehn Jahre auszuarbeiten, alle fünf Jahre muss eine Aktualisierung vorgelegt werden. Darin soll in den fünf Teilbereichen Dekarbonisierung, Energieeffizienz, Energiesicherheit, Energiebinnenmarkt und Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit von den Mitgliedstaaten dargelegt werden, wie die EU-Klimaziele bis 2030 erreicht werden sollen. Für Österreich bedeutet das eine Reduktion der Treibhausgasemissionen außerhalb des EU-Emissionshandels um 48 Prozent gegenüber 2005.
Das Klimaschutzministerium hat im Oktober 2023 eine Aktualisierung des NEKP an die EU-Kommission übermittelt, welche von Ministerin Edtstadler jüngst zurückgerufen wurde. Der abgegebene Plan sei nicht mit den anderen Ministerien akkordiert worden und entspreche nicht der österreichischen Position. Aus dem Klimaschutzministerium heißt es wiederum, dass andere Ministerien sehr wohl eingebunden waren. Nun droht ein Vertragsverletzungsverfahren, da Österreich offensichtlich noch immer keinen Plan abgegeben hat.
Dringender Handlungsbedarf
Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Regierungsparteien verschleiert, wie dringend der Handlungsbedarf ist. Den letzten Energie- und Klimaplan hat Österreich 2019 an die EU-Kommission übermittelt. Seit damals sind die Anforderungen an die Mitgliedstaaten jedoch nochmals weiter angestiegen. Die Europäische Kommission hat zwischenzeitlich den sogenannten „Green Deal“ ausgerufen, um den Herausforderungen der Klimakrise eine europäische Lösung entgegenzustellen. Mit dem europäischen Klimagesetz wurde festgelegt, dass die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent gesenkt werden. Dieses Ziel soll im Rahmen des Pakets „Fit for 55“ durch eine Reihe an Maßnahmen und Gesetzesinitiativen erreicht werden, beispielsweise im Bereich der Energieeffizienz von Gebäuden, dem Emissionshandelssystem und dem Ausbau Erneuerbarer Energien. Um die EU-Ziele zu erreichen, braucht es daher rasch eine ambitioniertere nationale Klimapolitik.
Klimapolitik ist Sozialpolitik
Eine solche Politik muss immer auch die Beschäftigten mit in den Blick nehmen. Maßnahmen der nationalen Klima- und Energiepläne sollten daher nicht nur hinsichtlich ihrer Wirksamkeit der Emissionsreduktion, sondern auch mit Blick auf die soziale Dimension beurteilt werden. Das Konzept der „Just Transition“, also eines gerechten Übergangs, bei dem niemand zurückgelassen wird, muss sich in den nationalen Klima- und Energieplänen in Form eines strategischen Ansatzes deutlich widerspiegeln. Dazu zählt beispielsweise ein klares Bekenntnis zur Erleichterung von Beschäftigungsübergängen sowie die tatkräftige Unterstützung von Arbeitnehmer:innen, die ihren Arbeitsplatz aufgrund der Dekarbonisierung verlieren.
Die Eindämmung der Klimakrise erfordert darüber hinaus ein hohes Ausmaß an hoch qualifizierten Arbeitskräften. Die sogenannten „Green Skills“ müssen gezielt durch Maßnahmen gefördert werden. Es braucht dabei grüne Arbeitsmarktinitiativen und regionale Strategien zur Förderung von grünen und qualitativen Arbeitsplätzen.
Viele Arbeitsplätze in der öffentlichen Daseinsvorsorge sind nachhaltige, sogenannte „Green Jobs“. Daher ist es wichtig, Städte und Gemeinden sowie ihre Bediensteten in ihrer wichtigen Funktion zu stärken. Dazu gehören folglich auch Mittel für ausreichende Ausbildungsplätze, neue Arbeitsplätze und Investitionen zum Ausbau der Infrastruktur.
Energiearmut bekämpfen
Sozial heißt aber auch, allen Menschen eine ausreichende Versorgung mit Energie zu garantieren. Im Jahr 2022 konnten rund 40 Millionen Europäer:innen ihren Wohnort nicht angemessen heizen. Das sind immerhin rund 9,3 Prozent der Bevölkerung Europas. Diese Zahlen sind beunruhigend und erfordern Anstrengungen zur Bekämpfung von Energiearmut.
Es braucht daher konkrete Maßnahmen, um die Auswirkungen der hohen Energiepreise auf die Bevölkerung abzumildern. „Oberstes Ziel muss es sein, eine Zwei-Klassen-Energie-Gesellschaft zu verhindern. Es kann nicht sein, dass nur die finanziell und technisch gut ausgestatteten Haushalte von der Energiewende profitieren und alle anderen Haushalte die Kosten tragen müssen“, stellt Thomas Kattnig, Mitglied des Bundespräsidiums der younion _ Die Daseinsgewerkschaft, klar. Neben kurz- und mittelfristigen Maßnahmen zur raschen Unterstützung von Haushalten braucht es jedoch auch strukturelle Änderungen. Dazu zählt ganz wesentlich eine tiefgreifende Reform, indem der Liberalisierung des Energiemarktes entgegengewirkt wird. Nur so kann die Verbraucherposition wirksam gestärkt werden.
Die Pläne der Mitgliedstaaten müssen auch als ein wesentliches Ziel die strategische Energieunabhängigkeit und -autonomie haben. Die Abhängigkeit von russischen Energieträgern muss sofort massiv reduziert werden. Bei der Suche nach Ersatz für russisches Gas durch andere Quellen sollte besonders auf die Umweltauswirkungen dieser Ressourcen und auf die Vermeidung neuer Abhängigkeiten von Drittstaaten, die nicht die europäischen Werte vertreten, geachtet werden.
Als Arbeitnehmer:innenvertretung ist es unsere Aufgabe darauf zu achten, dass sich die genannten Grundsätze in den klima- und energiepolitischen Bestrebungen der Mitgliedstaaten widerspiegeln. Denn bei der Bekämpfung der Klima- und Energiekrise und der Transformation unserer Wirtschaft darf niemanden zurückgelassen werden.
Der finale Nationale Energie- und Klimaplan muss bis Juni 2024 die Kommission erreichen. Ob sich die Regierungsparteien bis dahin auf eine zielgerichtete Klimapolitik einigen können, bleibt abzuwarten. Die Sozialpartner sollten jedenfalls im Vorfeld der finalen Abgabe nochmals eingebunden werden.
Quellen:
Climate Change Performance Index (CCPI), diepresse.com, Europäische Kommission, Eurostat, orf.at;
Keine Geschäfte mit Gesundheit und Pflege!
Um die Kosten für das öffentliche Gesundheits- und Pflegewesen zu senken, wird in vielen Ländern der Einstieg von privaten Investor:innen forciert. Doch aktuelle Studien belegen: Privates Kapital steigert die Kosten und senkt die Qualität der Versorgung.
Als younion _ Die Daseinsgewerkschaft konnten wir in den letzten Jahrzehnten gemeinsam mit unseren Partner:innen einige wichtige Erfolge gegen Privatisierungsbestrebungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge verbuchen. Mit der ersten erfolgreichen Europäischen Bürger:inneninitiative Right2Water, die mehr als 1,3 Millionen Bürger:innen unterstützten, konnten wir beispielsweise verhindern, dass die öffentliche Wasserversorgung der europäischen Konzessionsrichtlinie unterworfen und uns damit Privatisierungsverpflichtungen entgegenstellen.
In anderen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge sieht die Lage jedoch anders aus. Eine von der Arbeiterkammer Wien in Auftrag gegebene Studie ging der Frage nach, inwieweit private Investor:innen in den Bereichen Wohnen, Gesundheit und Pflege bereits vorgedrungen sind und zeichnet die Entwicklungen in Österreich, Deutschland und Großbritannien nach.
Die Studie zeigt deutlich, dass sich in Europa transnationale Investor:innen immer weiter ausbreiten konnten. In der stationären Altenpflege haben die europaweit 25 größten Investor:innen seit 2017 ihre Kapazität in Europa um mehr als ein Fünftel auf geschätzt 455.000 Betten erhöht. Solche Entwicklungen gehen Hand in Hand mit rückläufigen öffentlichen Investitionen, welche vor allem seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 zu beobachten sind. Vor allem in Großbritannien ist die Privatisierung durch die über viele Jahre festgeschriebene neoliberale Politik in der kritischen Infrastruktur am stärksten fortgeschritten.
Dabei zeigen Studien eindeutig, dass der Einstieg privater Investor:innen in die kritische Infrastruktur mit höheren Kosten und Einbußen bei der Qualität einhergeht. Erst kürzlich wurde eine neue Studie rund um die Intensivmedizinerin Sneha Kannan im Fachjournal JAMA veröffentlicht. Dabei wurden die Auswirkungen untersucht, die die Privatisierung von Krankenhäusern auf Patient:innen hat. Verglichen wurden Spitalsaufnahmen in Krankenhäuser, die von privaten Investor:innen übernommen wurden, mit solchen in anderer Trägerschaft. Die Ergebnisse zeigen, dass die Qualität in Privatspitälern deutlich zurückgeht. So stieg dort die Zahl der im Spital erworbenen Erkrankungen um rund 25 Prozent, was sich durch häufigere Blutinfektionen und Stürze erklären lässt.
Eine Übersichtsstudie, die letztes Jahr im British Medical Journal veröffentlicht wurde, zeigt ähnliche Ergebnisse. Ein Team um Alexander Borsa von der Columbia University in New York hat dafür Studien aus acht Staaten neuerlich analysiert. „Über verschiedenen Messgrößen hinweg war das Eigentum (an der Einrichtung; Anm.) durch private Geldgeber konsistent mit einem Anstieg der Kosten für Patienten oder Zahler (z.B. Krankenversicherungen; Anm.) verbunden.“ Das Bild zur Qualität der Versorgung in den privaten Gesundheitseinrichtungen sei „gemischt“ bis hin zu einer Tendenz zum Schlechten gewesen. Ein Bericht des Forschungszentrums CICTAR bestätigt diese Ergebnisse auch für den Bereich der Pflege. Der Bericht unterstreicht, dass die Probleme der gewinnorientierten Pflege, die besonders im Zusammenhang mit dem französischen Pflegeunternehmen ORPEA deutlich wurden, weit verbreitet sind. Diese Praktiken beschränken sich nicht auf „einige wenige faule Äpfel“, sondern sind vielmehr Teil der strukturellen Arbeitsweise von Pflegeunternehmen, die nach gewinnorientierten Grundsätzen arbeiten.
In Österreich vollzieht sich der Einstieg privater Investor:innen bislang schleichend. Der steigende Einfluss der Privaten zeigt sich im Pflegebereich beispielsweise daran, dass der Anteil der öffentlichen Pflegebetten von 76 Prozent in den 1980er-Jahren auf 49 Prozent gesunken ist. Im Gesundheitsbereich macht sich die immer höhere Zahl an privaten Spitälern bemerkbar, wenngleich beispielsweise bei den Primärversorgungszentren durch strengere Regulierung der Einfluss transnationaler Investor:innen zurückgehalten werden konnte.
Bestehende Ansätze zum Schutz dieser kritischen sozialen Infrastruktur greifen vielfach zu kurz, da sie sich oftmals nur darauf konzentrieren, woher Investor:innen kommen, nicht jedoch, wie genau sie agieren. Übersehen wird sehr oft, dass private Investor:innen andere Zielsetzungen als öffentliche Träger:innen haben. Durch die Gewinnorientierung der privaten Anbieter:innen steht oftmals nicht mehr die Versorgungssicherheit der österreichischen Bevölkerung im Vordergrund.
Die politischen Handlungsoptionen zum besseren Schutz der kritischen Infrastruktur liegen auf dem Tisch. Diese reichen von Mietpreisregulierungen über die Stärkung der Gemeinnützigkeit bis hin zum Ausbau öffentlich geführter Einrichtungen. Damit einher gehen eine notwendige Stärkung und bessere Finanzierung der öffentlichen Daseinsvorsorge sowie die Schaffung von mehr Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Es braucht nur den politischen Willen, diese auch umzusetzen.
Als younion _ Die Daseinsgewerkschaft nehmen wir die Ergebnisse der Studien zum Anlass, um weiter Druck auf die politischen Entscheidungsträger:innen auszuüben, sodass sie die Wichtigkeit der öffentlichen Daseinsvorsorge erkennen und den Zugriff der privaten Investor:innen auf diese unterbinden. Gesundheit und Pflege sind öffentliche Güter, die wir sichern müssen, ebenso wie die Arbeitnehmer:innen, die diese Dienstleistungen erbringen, Wertschätzung verdienen. Öffentlich finanzierte und universell verfügbare Gesundheits- und Pflegeleistungen sind der Weg in die Zukunft und die Antwort auf Skandale bei ORPEA, Senecura und Co.
Quellen:
Arbeiterkammer Wien, A&W blog, British Medical Journal, Centre for International Corporate Tax Accountability and Research (CICTAR), JAMA Network;
Neue Gentechnik – Viele offene Fragen
Die Europäische Kommission hat im Juli 2023 einen Vorschlag vorgelegt, mit dem die Anwendung von Verfahren der Gentechnik dereguliert werden soll. Der Entwurf sieht vor, dass bestimmte Verfahren der Gentechnik nicht mehr unter die Bestimmungen für genetisch veränderte Organismen (GVO) fallen. Letztere sehen strenge Zulassungs- und Genehmigungsverfahren vor. Im EU-Agrarministerrat im Dezember 2023 konnte keine Mehrheit für die Deregulierung der Neuen Gentechnik gefunden werden. Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments stimmt nun am 24. Jänner darüber ab.
Mittels neuer Verfahren, sogenannte „Neue genomischen Techniken“ (NGT), können vorhandene Gene von Pflanzen gezielt verändert werden. So wird die Züchtung von Pflanzen, die produktiver, widerstandsfähiger, gesünder, verträglicher und an eine veränderte Umwelt angepasst sind, ermöglicht. Mit herkömmlichen Methoden der Züchtung wären ähnliche Ergebnisse nur deutlich langsamer zu erreichen. Argumentiert wird daher häufig, dass die neuen Techniken eine nachhaltige Versorgung mit Lebensmitteln ermöglichen würden. Aus Sicht der Kommission sind sie gar ein wichtiger Baustein zu Erreichung der Ziele des Grünen Deals.
Im Zusammenhang mit NGT sind jedoch noch viele Fragen offen. Erst kürzlich zeigte eine Studie des Umweltbundesamts im Auftrag der Arbeiterkammer Wien, wie wichtig Sicherheitschecks bei NGT-Lebens- und Futtermitteln sind. Mögliche negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und Umwelt können nicht ausgeschlossen werden. Empfohlen wird daher eine umfassende Sicherheitsüberprüfung der NGT-Pflanzen.
Gleichzeitig melden Biotech-Konzerne zahlreiche Patente im Bereich der Neuen Gentechnik an. Vor allem zwei Konzerne führen das Rennen um die lukrativen Patente an: Corteva und Bayer/Monsanto. In den USA wurden bereits Landwirt:innen wegen Patentverletzungen verklagt. Eine Deregulierung der Gentechnik-Bestimmungen würde den Markteintritt und die Monopolisierung dieser Konzerne weiter fördern.
Die aktuellen Bestrebungen auf europäischer Ebene gehen daher in eine falsche Richtung. Es braucht einen transparenten Umgang mit dem Thema Neue Gentechnik, nachhaltige Lösungen für die Landwirtschaft und Sicherheitschecks für die Konsument:innen, wie auch die Arbeiterkammer in ihrer Stellungnahme klarstellt. Ein überhastetes Durchwinken einer Liberalisierung ist ganz bestimmt nicht im Sinne der Bürger:innen. Es bleibt zu hoffen, dass das Europäische Parlament dem Vorschlag eine Ablehnung erteilt.
Am 22. Jänner findet zum Thema Neue Gentechnik die Veranstaltung „Neue Gentechnik: Zukunftstechnologie oder Greenwashing?“ im Haus der Europäischen Union in Wien statt. Nach einigen fachlichen Inputs wird es eine Podiumsdiskussion geben. Dabei wird der Frage nachgegangen, was die anstehende Deregulierung der Neuen Gentechnik für die Umwelt, Konsument:innen-Transparenz und die gentechnikfreie Landwirtschaft in Österreich bedeutet. Alle Infos findest du unter diesem Link.
Quellen:
AK Europa, Arbeiterkammer Wien, GLOBAL 2000, science.apa.at, Umweltbundesamt;