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Die „Pandemie des Steuermissbrauchs“ beenden

In diesem Meinungsbeitrag, der anlässlich der Veröffentlichung des Berichts über den Stand der Steuergerechtigkeit 2021 (State of Tax Justice report 2021) verfasst wurde, legt die Generalsekretärin der Internationale der Öffentlichen Dienste Rosa Pavanelli dar, warum jetzt der entscheidende Moment für Regierungen ist, sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen, um den Missbrauch von Unternehmenssteuern zu stoppen.

Die jüngsten Enthüllungen der Pandora Papers waren ein Schlag ins Gesicht für die Beschäftigten auf der ganzen Welt, die an vorderster Front stehen. Während sie ihr Leben riskieren, um Leben zu retten, plünderten die wirtschaftlichen Eliten und Unternehmen weiterhin die öffentlichen Kassen und schwächten die Fähigkeit der Regierungen, lebenswichtige öffentliche Dienste, auf die wir uns verlassen, mit Personal und Ressourcen auszustatten.

Doch diese jüngsten Enthüllungen sind nur ein kleiner Teil des Puzzles. Der am 16. November von der IÖD zusammen mit dem Tax Justice Network und der Global Alliance for Tax Justice veröffentlichte Bericht „State of Tax Justice 2021“ zeigt, dass der Offshore-Steuermissbrauch die Welt jedes Jahr fast eine halbe Billion Dollar kostet.

Das ist genug, um jeden Menschen auf der Welt dreimal vollständig zu impfen. Wenn wir der Steuerhinterziehung ein Ende setzen, könnten wir in nur eineinhalb Tagen die Impfungen für das gesamte globale Gesundheitspersonal finanzieren.

Verschärfung der Ungleichheit

Dieses kaputte globale Steuersystem verschärft die Krise der ungleichen Verteilung von Impfstoffen und verlängert die Pandemie für alle. Länder mit niedrigem Einkommen verlieren im Durchschnitt jedes Jahr 48 Prozent ihrer öffentlichen Gesundheitsbudgets durch Steuermissbrauch. Unterfinanzierte Gesundheitssysteme in Verbindung mit ungleicher Kaufkraft beim Erwerb von Impfstoffen, die von Monopolen beschlagnahmt werden, begünstigen die Ausbreitung gefährlicher neuer Virus-Varianten, was zu mehr Lockdowns und mehr Todesfällen in der Welt führt.

Leider verwässern viele jener Länder des globalen Nordens, die sich weigern, Impfstoffpatente vorübergehend auszusetzen, wie z. B. das Vereinigte Königreich und die Schweiz, auch die Bemühungen, gegen Steuerparadiese vorzugehen. Ihr Handeln ist nicht nur moralisch falsch – es untergräbt den gesamten globalen Wiederaufbau.

Die jüngste Vereinbarung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die von den G20 angenommen wurde, um den Steuermissbrauch durch multinationale Konzerne einzudämmen, wurde mit großem Tamtam gefeiert. Dies verschleiert die Tatsache, dass die reichen Länder das Abkommen erheblich geschwächt haben und den Unternehmen Hunderte von Milliarden Dollar schenken, die andernfalls für die Finanzierung von öffentlichen Dienstleistungen, Klimamaßnahmen und sozialen Schutzmaßnahmen verwendet werden könnten. Der Mindeststeuersatz von 15 Prozent für die reichsten Unternehmen der Welt ist ein Schlag ins Gesicht der Krankenpfleger*innen, die Nachtschichten auf COVID-Krankenstationen leisten und routinemäßig einen höheren Steuersatz auf ihren Lohn zahlen.

Darüber hinaus wird der Großteil der zusätzlichen Steuereinnahmen, die im Rahmen des OECD/G20-Abkommens ausgehandelt wurden, an die Steuerbehörden in Europa und den Vereinigten Staaten fließen. Die Länder des globalen Südens, die einen viel höheren Anteil ihrer Steuerbasis durch Steuermissbrauch verlieren, werden, wenn überhaupt, nur sehr wenig von den neuen Regeln profitieren.

Multilaterale Reform

So schwach das OECD/G20-Abkommen auch sein mag, so ist es doch ein klares Bekenntnis dazu, dass der Steuerwettbewerb und der damit verbundene „Wettlauf nach unten“ nur durch multilaterale Reformen beendet werden kann. Der nächste Schritt besteht darin, den globalen Mindeststeuersatz auf mindestens 25 Prozent anzuheben und dafür zu sorgen, dass zusätzliche Steuereinnahmen in die Länder fließen, in denen die Wirtschaftstätigkeit stattfindet – und nicht nur in die Länder, in denen die multinationalen Unternehmen ihren Hauptsitz haben.

Letztendlich brauchen wir ein wirklich inklusives, zwischenstaatliches Steuergremium bei den Vereinten Nationen, wie es kürzlich von der G77-Gruppe bestehend aus 134 Ländern vorgeschlagen wurde. Die Verbesserung der internationalen Steuerarchitektur wird natürlich Zeit brauchen – und die Verhandlungen müssen sofort beginnen. Die wichtigsten Maßnahmen können jedoch sofort umgesetzt werden.

Erstens brauchen wir eine Vermögenssteuer für die Mega-Reichen, von denen viele ihr Vermögen dramatisch steigern konnten, während unzählige andere ums Überleben kämpfen. Zweitens sollte eine Steuer auf Gewinnüberschüsse bei denjenigen erhoben werden, die von der Krise profitiert haben – dazu gehören Unternehmen wie Amazon, die direkt von der Corona-bedingten Schließung kleinerer Konkurrenten profitiert haben.

Drittens sind unilaterale Maßnahmen erforderlich, um die einheitliche Besteuerung voranzutreiben – d. h. die Besteuerung jedes multinationalen Unternehmens in seiner Gesamtheit, anstatt ihm die Möglichkeit zu geben, seine Gewinne in Tochtergesellschaften mit niedriger Besteuerung zu verlagern – insbesondere angesichts der Digitalisierung der Wirtschaft. Und schließlich muss unverzüglich eine öffentliche länderbezogene Berichterstattung eingeführt werden, damit wir nicht länger auf Enthüllungen wie die Pandora und Panama Papers angewiesen sind, um zu erfahren, was wirklich vor sich geht.

Politischer Wille

Viel zu lange haben die politisch Verantwortlichen behauptet, es sei einfach nicht genug Geld vorhanden, um unsere Gesundheitssysteme und andere öffentliche Dienste angemessen zu finanzieren. Doch wie der neue Bericht zeigt, fehlt es nicht an Ressourcen, sondern am politischen Willen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.

Es ist an der Zeit, dass die Regierungen den Mut aufbringen, der ihrer Beschäftigten an vorderster Front würdig ist, indem sie den Konzernlobbyisten eine Absage erteilen und endlich Maßnahmen ergreifen, die die multinationalen Unternehmen und die Mega-Reichen zwingen, ihren gerechten Anteil zu zahlen. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Quellen:
Global Alliance for Tax Justice, Internationale der Öffentlichen Dienste (IÖD), Tax Justice Network;